Sportorte, die; Orte für Sport

„Dein Ort für Sport“ ist der Slogan meines Fitnessstudios, ein vereinsgeführter roter Kasten vor den Toren Kölns. Ja, im Moment, seit einem Jahr schon (unterbrochen von den Monaten der Knie-OPs, Infekte, Schwellungen, des Narbengewebes und was sonst noch los war rund ums Knie) ist dieser rote Kasten mein Ort für Sport. Es gab schon andere Sportorte in meinem Leben, etwa die völlig durchgeknallten Spinning-Kurse und Spinning-Events, die Schwimmbäder. Ersteres faszinierend, Letzteres abstoßend. Und, der schönste: die große weite Welt der Wanderwege.

Jetzt sitze ich mehrmals die Woche in und an Gestängen und schiebe, ziehe irgendetwas irgendwohin oder drücke, stemme mich oder erschreckend niedrige Kilogramm-Stapel monoton rauf und runter, hin und her, vor und zurück. Vom Spinning war ich Schwitzen gewohnt, so starkes Schwitzen, dass sich Lachen unter dem Spinningrad bildeten. Manchmal liefen die Pfützen zweier benachbarter Techno-Strampler am Boden ineinander. Gib mir deinen Saft, ich geb dir meinen. Die Körper und die dünnen Plastikwürste mit Popo-Polster, in die sie zum Spinning gequetscht werden, so nass, als sei man gerade der Dusche entstiegen. Dabei ist man vom Spinningrad gestiegen, nach beliebig vielen Stunden, mal zwei, mal vier, mal sechs. Acht habe ich nie geschafft, wollte ich immer, das höchste waren sieben. In der Balver Höhle im Sauerland. Episch!, würden die jungen Pumper am Nebenplatz im Fitnessstudio dazu sagen. Jetzt schwitze ich kaum, es ist eine andere Art von Wärme im Körper, die das Geziehe und Geschiebe an den Fitnessgeräten verursacht. Wenigstens habe ich nicht mehr so furchtbare Nackenschmerzen von der Dauerverspannungskette aus Schreibtisch-Spinningrad-Rucksack-Schreibtisch. Wobei ich die um alles in der Welt gegen diese Kacke am Knie eintauschen würde.

Ich verzweifle an meinem Körper, ich habe das Gefühl, zu verwelken wie einer der zahllosen Blumensträuße, die ich in meinem Leben schon schlaff-bräunlich kümmernd entsorgt habe. Wenigstens rieche ich nicht so faulig wie das Blumenwasser dieser zusammengesunkenen Pflanzenwelten. Aber ich fühle mich so. Es ist das größte Rätsel, das mein Leben mir bislang aufgibt, warum ausgerechnet das, was dir Leib und Seele zusammenhält, die Bewegung beim Wandern an der frischen Luft und beim Treten auf dem Standrad (hingegen in sehr stickiger Luft), nicht mehr geht – und der Körper sich damit selbst in einen viel schlechteren Zustand versetzt. Von der Seele ganz zu schweigen.

„Melanie, überleg mal, was du gelaufen bist. Wie viele Kilometer, was du zusammengelaufen bist in deinem bisherigen Leben – das schaffen andere nicht in drei Menschenleben! Und diese Bergtouren! Und alles musste dein Knie mitmachen!“ Das sagte ziemlich zu Beginn meiner Knie-Odyssee ein guter Freund zu mir. Der ist ein bisschen älter und hat auch Knie. Er hat selbstverständlich Recht. Aber ich sehe mit meinem sturen Stier-Kopf einfach nicht ein, dass es nicht mehr gehen soll, wenn es immer ging. Zumal, das nehme ich meinem Schrumpfleib auch übel, mit einer absolut oberbescheuerten Nicht-Diagnose – wäre es der Meniskus, das Kreuzband, irgendetwas, mit dem unsere Medizin schematisch umgehen kann, steckte ich nicht inmitten der ganzen wirren Verwicklungen fest, und wäre jetzt, nach zwei OPs, nicht wieder da, wo ich vorher war. Mit einem Ei unterm Knie. Nur mit Nervenschmerzen on top, die ich vorher nicht hatte.

Ich gehe also nicht durch den Wald. Ich sitze also nicht auf dem Spinningrad. Ich klemme stattdessen zwischen Rollen und Bügeln in der Gerätefarbe Grün und trainiere bislang vernachlässigte Körperpartien wie Oberkörper und Bauch. Früher war der Bauch einfach flach, also nicht da, jetzt gilt es eine sich unschön wölbende Turnhosenwurst am Abdominal Torsion Gerät und an der Bauchrolle wegzuwiederholen. Ich bekämpfe die Winkeärmchen und ärgere mich, dass es hier mit dem Gewicht, das die schlaffen Extremitäten zu stemmen in der Lage sind, nicht voran geht nach ein paar Wochen.

Woher meine fast klösterliche Disziplin stammt, mich körperlicher Betätigung zu unterwerfen, auch wenn diese mich viel Überwindung kostet, ist mir auch ein Rätsel. Ich könnte mich jetzt auch einfach der schlaffen Verfettung hingeben. Zum Spinning und zum Wandern musste ich mich nie motivieren, da herrschte stets Vorfreude und bester Dinge ging es hin und los. Als ich vor ein paar Jahren einen entzündeten Fuß hatte, führte der Weg zur Schonung und Heilung ins Wasser. Zum ersten Mal seit Kindheitstagen war ich wieder Schwimmen, und schnell erkannte ich, dass ich das Kraulen lernen muss, wenn ich in den völlig überfüllten Kölner Schwimmbädern nicht niedergerungen und totgetreten aus dem versifften Wasser gefischt werden will. Mit eisernem Willen habe ich mich monatelang durch mehrere, teils nette, teils erniedrigende Kraulkurse gekämpft, den Ekel vor dem Wasser und dem, was einem darin so alles entgegenschwimmt, bekämpft, etwa den Haaren von anderen, die man nach ein paar Metern schon immer um die Finger gewickelt hatte (wieso um alles in der Welt wurde die Badekappenpflicht abgeschafft?). Mein schlimmster Moment war beim Gang zur Toilette, zur Blasenentleerung gefühlt als Einzige außerhalb des Schwimmbeckens: ein riesiger Scheißhaufen, in der Größe eines stattlichen Großstadtköterhaufens, auf dem Boden vor der Kloschüssel. Der Geruch: schlimmer als das oben erwähnte Blumenwasser. Einfach so war er da, ein monolithischer Schwimmbad-Scheißhaufen wie ein Mahnmal des Grauens. Im Nachhinein wundert es mich, dass ich mich in diesen Bädern nicht ständig übergeben musste. Im Wasser wäre es zwischen den ganzen Haaren, Pflastern und Hautfetzen vermutlich gar nicht weiter aufgefallen.

Der Ort für Sport ist also bis auf Weiteres der rote Kasten. Und, fast hätte ich es vergessen: das Reha-Studio. Dorthin gehe ich wöchentlich zum Reha-Sport. Es hat etwas Tröstliches, inmitten all dieser beschädigten und geschädigten Menschen als ebensolche auf der Matte zu stehen, sitzen, liegen, in stiller Übereinkunft, dass wir alle ein Problem haben am Körper, mit dem wir nicht so richtig fertig werden. Manchmal gibt es Partnerübungen, dann klärt man erstmal ab, womit man es beim Gegenüber zu tun hat, Knie?, Schulter?, Hüfte? Bei diesem Körperteile-Check musste ich auch schon mal an die Metzgertheke denken. Vielleicht führt mich auch da noch alles hin. Ich habe ziemlich oft den Impuls, mir das Bein unterhalb vom Oberschenkel abzuhacken. Da muss man vermutlich erstmal hinkommen. Ich hoffe, ich komme da auch wieder weg.

Tja, das waren die guten Zeiten – noch 2019 happy as ever auf dem Spinningrad, hier bei einem Event in Bad Homburg