What the fuck

„Ihr Knie ist so: What the fuck!“, sagt der Oberarzt, der fast zwei Monate zuvor eben jenes operiert hat. Ich sehe diesen Mann mittlerweile häufiger als alle engen Freundinnen und Freunde zusammen. Nach der OP hat dieses Knie einen Weg eingeschlagen, den der Arzt nicht hat kommen sehen. Und ich schon gar nicht.

Erstmal war das, was vor der OP ein schlankes Kniegelenk gewesen war – wenn auch mit angelagertem Ei, das da eben nicht hingehörte – danach ein Schlauch, dick, prall und gluckernd, übergangslos aufgedunsen vom Oberschenkel bis zur Wade. Das Loswerden der Flüssigkeit zog sich. Schon da war der Orthopäde nicht zufrieden – vier Wochen lang Schwellungen, und diese riesigen Hämatome. Groß wie Kontinente auf der Oberfläche und in der Tiefe meines linken Beins. An Stellen, die mit der OP nicht das Entfernteste zu tun gehabt hatten. Sollte alles nicht so lange so sein.

Tapfer habe ich mich meiner neuen tagesfüllenden Aufgabe jenseits der Erwerbsarbeit gewidmet: der Pflege des Knies, auf dass es gesunde. Thrombosestrümpfe jeden Tag, sechs Wochen lang. Erst Wundversorgung, dann Narbenpflege. Wickel. Salben. Tabletten. Lymphdrainage. Coolpacks. Hochlagern. Gut zureden. Manchmal vor Verzweiflung anschreien. Weinen. Umliegende Muskeln anspannen. Aufhören zu weinen.

Mein Leben, wie ich es kannte, ist derzeit weg. Auch nach fast zwei Monaten kann ich nicht weit gehen. Das Knie mag Sitzen nicht, Stehen noch weniger. Liegen geht. Meine Wohnung riecht abwechselnd wie ein Altersheim oder wie eine Sennerei, abhängig davon, ob ich Retterspitz- oder Quarkwickel auflege. Mein Auto steht vor meiner Wohnung, verstaubt und weint.

Es versteht nicht, warum wir nicht wie in den letzten Jahren zusammen jedes Wochenende zu wilden Wanderabenteuern im Wiedtal, in der Eifel, in Belgien, im Bergischen oder an der Ahr aufbrechen. Warum es mich – verschwitzt und erschöpft, aber entspannt und gut gelaunt – nicht, dröhnend und scheppernd mit Radio-Sunshine-Techno, aus den frühlingsberstend zum Leben erwachenden Wäldern wieder zurück in die große Stadt bringen darf. Ich weine auch. Ich gehe ab und zu beim Autochen vorbei, an dem ich hänge, als wäre es ein Freund. Ist es auch. Es hat mir nach der Trennung geholfen, meine Freiheit und Unabhängigkeit wiederzuerlangen.

Das Knie hat trotz hingebungsvoller Zuwendung nach vier Wochen sprichwörtlich über Nacht beschlossen, sich zu entzünden. Ich wachte wegen der plötzlichen pochenden Hitze im Knie auf und konnte ihm dabei zusehen, wie es röter und dicker wurde. Der Orthopäde, bei dem ich nach dieser unruhigen Nacht verängstigt saß, konnte sich das nicht erklären. Kann er immer noch nicht, weitere drei Wochen später. Ich war schon „das schwierige Knie“ in der wöchentlichen Klinik-Fallkonferenz. „Ich habe Ihr Knie den Kollegen vorgestellt. Wir operieren Tausende Kniee im Jahr. Sowas hatten wir noch nicht.“ Ich nehme ein Antibiotikum, das in feinen Schritten für Besserung sorgt, aber den Rest meines Körpers immer wieder mit Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen niederstreckt. Ich nehme es tapfer weiter, weil es dem Knie hilft.

„Sie müssen das Knie als Teil von sich betrachten. Sie dürfen nicht sagen: das Knie und sich dagegen wehren. Das sind Sie als Ganzes. Sie müssen sagen: Ich.“ Das sagt die Psychotherapeutin. Ohne diese herzensgute, lebenspraktische Frau wäre ich in den letzten Wochen von irgendeiner nahegelegenen Brücke in den Rhein gesprungen. Weil ich mich nicht bewegen kann. Weil ich mir nicht vorstellen kann, mit diesem Knie nochmal bergauf, geschweige denn auf einen Berg zu gehen. Und wieder herunter.

Der Orthopäde ist für einen Orthopäden ein einfühlsamer Mensch. Er klopft mir immer aufmunternd auf die Schulter oder auf den Arm. Es tut ihm Leid, dass „das schwierige Knie“ zu mir gehört, ich glaube ihm das. „Frau Harmuth, wir schaffen das, wir sind auf dem richtigen Weg“, sagt er, als er das Rezept für die nächste Runde des Antibiotikums aufschreibt. „Darf ich spazieren gehen?“ – „Nein.“ – „Darf ich zur Physio?“ – „Nein.“ – „Stoßwellen-Therapie?“ – „Nein. Ihr Knie ist so gereizt, Sie müssen es ruhig halten, kühlen, hochlegen. Jede Manipulation, jede Bewegung kann Ihnen die Entzündung zurückbringen, weil wir nicht wissen, woher sie kommt.“ Um dem auf die Spur zu kommen, hatte es zwischendurch nochmal ein MRT gegeben. Die Radiologin machte viel, zu viel Flüssigkeit aus für die seit der OP vergangene Zeit, außerdem einen beleidigten Schleimbeutel und die Möglichkeit zur Abszessbildung. „Das ist Bullshit. Da bildet sich kein Abszess. Ich hatte Ihr Knie in der Hand.“ Ich frage den Orthopäden, als er das bei der Befundbesprechung sagt, nicht, wie er das wissen kann. Ob er durch das Halten meines Knies auch in der Lage ist, im Gegensatz zu mir, mit diesem zu kommunizieren, und es ihm sagt: „Abszess! What the fuck! Bullshit!“

Ich glaube diesem Arzt, weil ich ihn mag und weil mir nichts anderes übrig bleibt. Vielleicht ist das eine Form des Stockholm-Syndroms. Dieser Arzt war in einer langen, frustrierenden Serie von Orthopäden, denen ich das Ganglion und die diffusen Kniebeschwerden vorgestellt hatte, der Einzige, der mich ernstnahm. Der nicht so einen Scheiß sagte wie: „Ach, wissen Sie, ich würde da gar nichts machen. Gehen Sie halt nicht mehr wandern.“ Sondern: „Oh my God! Ist das groß! Das drückt Ihnen das Knie kaputt. Das holen wir raus. Dann werden Sie wieder Ihren Sport machen können.“

Nun, das hat sich so dann eben nicht erfüllt. Oder noch nicht, ich versuche es zu hoffen. Beim nächsten Termin werde ich den Arzt fragen, ob es helfen könnte, auch für das linke Knie Blutegel zu opfern. Das rechte haben insgesamt sieben in zwei Sessions besaugt, eine Riesensauerei, aber die Entzündung dort wurde zumindest besser. Nochmal links operieren ist auch eine Option, um den beleidigten Schleimbeutel herauszuschneiden. Ich habe Angst, dass der ansonsten bei der erstbesten Wanderung irgendwo im Nirgendwo den Riegel reinhaut und ich im Wald festsitze. Vielleicht ist das der Weg? Zurück auf Null, in den OP. Reset engines. What the fuck.

Gottverdammt – ich will es wiederhaben. Das Knie und mit dem Knie das Wandern und Bergsteigen. Ja, das sind die Drei Zinnen im Hintergrund, aufgenommen auf einem Berggipfel um die Dreitausendermarke.