Neue Nachbarn oder: Thinking of Tippi Hedren

Ruuuuu. Ruguuuuu. Rugidiguuuuu. Es ist Samstag, ich sitze mit Struwwelhaaren, Strickjacke und Hafer-Cappuccino vor oder im Internet. Und wundere mich über diese Geräusche, die eindeutig vom Balkon hereindringen und mich nervös werden lassen. Ist das Geflatter auf meinem Balkon? Wieso ist dieses Gurren so nah?

Ich verlasse Internet und Cappuccino, stehe auf und mache die Balkontür auf. In der kleinen Wohnung liegt ja alles immer so nah beieinander, dass man sich zwischen diesen Tätigkeiten eher nur lehnen als richtig bewegen muss. Vor mir: zwei erwartungsvoll dreinschauende weiße Tauben mit Zweigen im Schnabel. Vielleicht ist das sowas wie unter Menschen das mit dem Salz und dem Brot, Tauben sind ja spätestens seit der Bibel und dann nochmals seit Picasso mit diesen Zweigen im Schnabel ikonisch verbunden, dass die beiden Hübschen denken, da sie offensichtlich auf meinem Balkon eingezogen sind, sind zwei mitgebrachte Zweige die Basis einer soliden, freundschaftlichen nachbarlichen Beziehung. Oder mehr einer WG, muss man sagen, schließlich ist es mein Balkon.

Ich bin nicht erfreut über die Darbietung der Gurris, mir wird spontan schlecht und ich schreie die Tauben an. Die gucken erstmal nur verwundert und bewegen sich nicht. Erst als ich auf sie zugehe und herumfuchtele, flattern sie gemächlich davon, aber nur bis zum nächsten Balkon, um von dort sofort wieder zurück zu meinem Balkon zu segeln und mich anzugucken. Sicher habe ich das mit dem netten Blick, dem Gurren und den Zweigen nicht verstanden. Menschen halt, die sind immer so schwer von Begriff. Mittelalte Cappuccino-Frauen in Strickjacken samstags sind ein besonders harter Brocken. Zu dem Zeitpunkt weiß ich noch nicht, dass das praktisch den ganzen Tag so weitergehen wird. Harmuth in: Hitchcock´s The Birds, revisited. Mich machen diese zwei mich kontinuierlich mit ihren Mistzweigen anfliegenden Tauben fertig, ich werde sie nicht los, ich will gar nicht wissen, wie schlimm es für Tippi Hedren mit Scharen von Raben bei den Dreharbeiten zu The Birds gewesen sein muss. Im Laufe des Samstags ist bei mir jedenfalls von Fluchen, Schreien, Herumfuchteln, Aufgeben, gut Zureden und wieder Fluchen alles dabei.

Im Hellen sehe ich, wie sich die beiden Gefiederten offenbar zuletzt schon häuslich auf meinem Balkon eingerichtet haben. Alles ist vollgeschissen, alles ist voller Federn. Durch meine Arbeitszeiten war es in den letzten Wochen immer dunkel, wenn ich auf den Balkon trat, um Spinningschuhe zum Entstinken rauszustellen oder, oh mein Gott, eine neue schöne Ledertasche zum Lüften rauszuhängen. Zum Glück hat die es irgendwie geschafft, nicht vollgeschissen zu werden. Die Bank auf dem Balkon war da weniger erfolgreich, auch zweimal Drüberlasieren hat die Kack-Kollateralschäden nicht beseitigen können. Da wurden dauerhafte Erinnerungen geschaffen.

Bei meinem ganzen Geräume, Gescheuche und Gefluche dauert es nicht lang, bis diverse Nachbarn ebenfalls auf ihren Balkonen auftauchen. Mein treuer Helfer und bester Nachbar der Welt von nebenan, der schon Stalker für mich verscheucht und nächtliche Schlüsseldiensteinsätze mit mir überstanden hat, ist sofort zur Stelle, um den Balkon von allen möglichen Unterschlupf- und Sitzmöglichkeiten für die Birdies freizuräumen und die stachligen Balkon-Topfrosen ins Treppenhaus zu verfrachten. Deren Wintervlies ist vollgeschissen, also ist der Winterschutz für die Pflanzen jetzt leider vorbei und wird entsorgt. Die Pflanzen machen einen beleidigten Eindruck. Ey, spinnst du? Guck ma, kaum Triebe, viel zu früh, von Blättern ganz zu schweigen, und wir sollen jetzt nackt hier rumstehen? Im Februar?! Ey, geht´s noch? Du hast zwei Jacken an, Frau! Merkste selber, ne!

Ich kaufe einen völlig überteuerten Plastik-Raben im Baumarkt, der das zweigtragende Turtelpärchen überhaupt nicht juckt. „Die Tauben hatten gerade Sex auf Ihrem Balkonschrank!“, informiert mich die Nachbarin, als ich nach einstündiger Kampfpause auf den Balkon zurückkehre. Ich spüre eine tiefe Ermattung in mir aufsteigen. Vielleicht hat der Plastik-Rabe die erst noch so richtig angeturnt, die Taubis?

Ich möchte nicht in einer Tauben-WG wohnen. Ich überlege schon, mit der im Keller noch reichlich vorhandenen Malerfolie meinen Balkon Christo-mäßig einzuhüllen. Bevor ich das mache, hänge ich probehalber allerdings ein paar Meter Alufolie, schön in Streifen geschnitten, auf den Balkon. Das knistert, bewegt sich im Wind und reflektiert, das mögen die Tauben angeblich nicht. Und es wirkt. Sofort sind sie weg. Der Wind formt seither täglich neue Arrangements aus den Folienstreifen, ich klebe sie immer wieder zusammen, vermutlich mache ich das jetzt wie im Märchen: Und wenn sie nicht gestorben ist, klebt sie Alufolie noch heute. Denn ich habe große Angst, dass die Flatterviecher direkt wieder um die Ecke gebogen kommen, sobald die Folie weg ist.

Keine Taubenscheiße mehr auf dem Balkon, keine Federn, keine Zweigdarbietungen. Ich traue dem Frieden nicht so recht. Vielleicht formieren die Tauben sich im großen Baum gegenüber nur neu, bilden Allianzen mit den Heerscharen von Halsbandsittichen, die es hier auch gibt, und attackieren mich eines Tages so wie die Raben im Film Tippi Hedren und ich muss fluchtartig meine Wohnung verlassen und kann wegen Hunderter Vögel darin nicht mehr dorthin zurück. Und draußen auf dem Balkongeländer klemmt am Kabelbinder der Plastik-Rabe und denkt sich seinen Teil. Schüttelt vielleicht sogar ein bisschen seinen Plastik-Kopf im Wind, während die letzten noch verbliebenen Alufolienreste davonflittern.

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