Sei bereit, den Teller zu verlassen

ChatGPT ist in aller Munde, die Künstliche Intelligenz (KI), die über ein beliebig langes Briefing, eingegeben in einen kleinen Textschlitz auf der Website, Texte jeglicher Art erstellt. Das macht sie erstaunlich gut. So gut, dass zu befürchten ist, dass ich in spätestens 20 Jahren keine Texte mehr schreiben werde, sondern vielleicht mit dem Laubbläser bei meinem Arbeitgeber den Hof freiföhnen.

Alle möglichen Leitmedien haben sich elegisch mit ChatGPT beschäftigt und sie Abhandlungen, philosophische Einordnungen, Gedichte, sonstwas schreiben lassen. An der einen oder anderen Stelle konnten von Enzensberger oder Marx eingebaute Zitate nicht verifiziert werden. Aber, hey, who cares, das juckt ja schon heute bei menschengemachten Texten keinen mehr. Urheberrechte, Quellen, war da was? Hä? Hab ich kopiert und geretweetpostedinstatiktokked! Ist doch cool, wenn es andere lesen, ist doch egal, wer das zuerst geschrieben hat?! Dann kann die KI folgerichtig auch Zitate einfach erfinden, wenn sie gut klingen und in den Kontext passen.

Seit Langem leide ich im Beruf daran, dass die Kompetenz, sehr gut schreiben zu können, Dinge textlich auf den Punkt bringen, herunterbrechen zu können, sprachlich kreativ zu sein, Zusammenhänge zu erfassen und sortiert in einem klaren, bedarfsgerechten Text mit Struktur, Gerüst und Rahmen wiederzugeben, im Grunde keinen interessiert. Am Ende kommt immer ein Jurist, ein Marketing-Junior-Manager, ein Fachreferent oder Was-auch-immer um die Ecke und macht´s kaputt. „Können wir da nochmal drübergehen?“ – „Ich hab das an der einen oder anderen Stelle ein bisschen glattgezogen“ – „Das hat es noch nicht so ganz getroffen“. Das bedeutet übersetzt immer: totale Textzerstörung. Weil Bezüge und Mehrdeutigkeiten, Sprachebenen, Wortspiele nicht verstanden werden, weil Wortwiederholungen, Passivkonstruktionen, Substantiv- und Fremdwortverkettungen als von Kompetenz zeugend und erstrebenswert angesehen werden. Und der zuvor schöne, runde, verständliche Text ist für immer dahin. Auch hier bietet die KI Vorteile: Der isses egal. Die spuckt dann einfach die nächste Runde Textmaterial aus. Die menschliche Harmuth hingegen zerwringt sich das Gehirn und ist frustriert und wird mit jeder Abstimmungsschleife frustrierter, dass ihre Kunst nicht verstanden wird – das Problem hat man nun nicht mit der KI. Insofern: Win-Win! Super für alle, außer die kreative Person, aber was soll´s. Die kann ja auch Blumen gießen.

Insofern finde ich, haben wir es nicht besser verdient, als dass jetzt etwas völlig Unkreatives, nämlich eine technische Intelligenz, den Textjob übernimmt. Holprige Überleitungen, ungeschickt eingebaute und noch dazu erfundene Zitate, egal.

Neulich habe ich eine Stellenanzeige gelesen, in der stand:

„Du blickst nicht nur über den Tellerrand, sondern bist bereit, den Teller zu verlassen.“

irgendeine Stellenanzeige bzw. deren irre/r Verfasser/in

Ich wusste nicht, ob ich weinen oder lachen soll. Eine Stellenanzeige lesen so viele Menschen, bevor sie veröffentlicht wird – wie kann da so ein Bullshit-Nonsense durchgehen? Wer, bitteschön, sitzt selbst in dem Teller, über den er blickt oder eben nicht? Es ist nicht zu fassen. Das würde ChatGPT wohl besser hinbekommen. Zumindest ist mir im aktiven Sprachgebrauch im Gespräch mit Freunden so eine Formulierung wie, „Du, mir steht die Suppe bis zum Hals, ich muss echt mal den Teller verlassen“, bislang nicht untergekommen. Auch der KI nicht, und deshalb würde sie so einen Schrott nicht schreiben.

Ich habe das Buch „Sisi“ von Karen Duve gelesen. Ich liebe Sisi, die unangepasste, magersüchtige, sportverrückte Kaiserin, und ich lese gerne die Bücher von Karen Duve. 24 Euro, Hardcover. Das Buch ist gespickt mit Fehlern, Rechtschreibfehlern, Grammatikfehlern, das hat definitiv niemand lektoriert, noch nicht einmal eine KI. Selbst Buchverlage interessieren sich nicht mehr für Textqualität. Es sieht nicht gut aus für uns.

Wir haben im Büro selbstverständlich auch einen Test mit ChatGPT gemacht. Die Kollegin hat ihren Office-Kaktus Bernd entsorgt. Zum Jahresende. Wir haben ihn rituell in die Biotonne geworfen, zum Laubbläser-Laub, das schon drin war und das wir in 20 Jahren statt Kaktus Bernd zusammen dort hinein kippen werden. Hinterher flugs ein paar Stichworte der KI als Brocken virtuell hingeworfen, Bernd, Kaktus, Biotonne, Abschied, sowas, und ein Gedicht von ihr gewünscht. Und heraus kam: ein schönes Gedicht! Paar grammatikalische und Komma-Fehler gibt es, aber das macht nichts, die fallen auch jetzt schon keinem mehr auf. Es werden sogar Hardcover-Bücher namhafter Verlage mit solchen gedruckt.

Bernd, der Kaktus, stand einst stolz,

in einem Topf, in der Sonne glühte er.

Doch eines Tages kam das Ende,

in einer Biotonne wurde er geworfen.

Auf feuchtem Herbstlaub lag er nun,

verloren unter Abfall und Schmutz.

Seine Wurzeln eng und ohne Raum,

verlor Bernd seine grüne Saft.

Doch selbst im Tod, war Bernd mutig,

er gab nicht auf, nicht einmal hier.

Denn aus dem Herbstlaub, begann er zu sprießen,

ein neues Leben, unerwartet und voller Freude.

Bernd, der Kaktus, steht nun wieder,

in einem neuen Topf, in der Sonne glüht er.

Ein Symbol für Hoffnung und Widerstand,

in unserer Welt voller Unsicherheit.

ChatGPT

Noch besser ist das Gedicht auf Englisch, das ist einfach ChatGPTs Muttersprache, klar.

Bernd the cactus stands so tall and proud,

In the desert heat, he never wilts or bows.

His spines are sharp, his skin is rough and tough,

He’s built to survive, in the harshest droughts.

With roots deep in the sand, he draws his strength,

And in the scorching sun, he thrives at length.

No need for water, no need for care,

Bernd is a survivor, beyond compare.

But though he’s tough, he’s not without his charm,

In spring, he blossoms, with flowers so warm.

A riot of color, a sight to behold,

Bernd is a cactus, but he’s not so cold.

So here’s to Bernd, the desert’s pride,

A symbol of strength, standing side by side.

Through heat and drought, he’ll always survive,

Bernd the cactus, forever alive.

ChatGPT

ChatGPT, übernimm bitte zumindest schon mal die Stellenanzeigen in Deutschland. Den Rest ziehen wir nach. Und bauen unsere „Welt voller Unsicherheit“, von der du schreibst, beruflich schon mal erheblich für uns aus.

Vielleicht kannte der/die Verfasser/in der bescheuerten Stellenanzeige auch dieses Motiv „Suppenschwein“ von Michael Sowa – und fühlte sich dadurch zum Text inspiriert, doch den Teller zu verlassen, statt über den Tellerrand zu schauen.

2 Gedanken zu “Sei bereit, den Teller zu verlassen”

  1. Krass!!!! …und perspektivisch unglaublich düster !!!!
    Kann uns jemand davor bewahren?
    Mellilli, Danke für diesen UNkünstlich-intelligenten Beitrag , you are the best ⭐️

  2. Scharf beobachtet, Frau Harmuth! Und vielen Dank für Ihren Input zu meinen Chat mit der KI. Mit diesem zaubere ich mir gleich einmal eine To-Do-Liste, wie Bernd der Kaktus trotz seiner misslichen Lage doch noch die Weltherrschaft erringen könnte. 😉
    Aber erstmal möchte ich beruhigen: Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wurde. Und falls doch, verlassen wir einfach den Teller und bekommen dafür auch noch einen neuen Job… Also alles Baba! 😉

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