Den Heiligen Martin kennen wir alle, der im Winter seinen Mantel zerteilt und einem Armen eine Hälfte reicht, damit der nicht erfriere. Ich habe neulich meinen Mantel, um genau zu sein: meinen Bademantel, nicht zerteilt, aber geteilt. Unfreiwillig. Mildtätig fühlte ich mich ganz und gar nicht, dazu war mir einfach zu kalt. Es fehlte auch nicht nur der halbe, sondern gleich der ganze Mantel.
Man kann zu Karneval in Köln bleiben und Karneval feiern. Man kann nicht zu Karneval in Köln bleiben und nicht Karneval feiern. Das habe ich gelernt. Also habe ich Köln und Karneval Richtung Eifel verlassen und mich dort mit dem Mann in einem Hotel am Rursee versteckt. Einen Tag auch in der Saunalandschaft. Lange Zeit war mein mausgrauer Bademantel einzigartig inmitten ganzer Kontinente von leuchtend weißer Frotteeware. Mittlerweile ist das anders, Grau ist das neue Weiß beim Bademantel und der Top-Saunatrend. Fifty Shades of Grey, frottiert.
So kam ich des Sonntags in mein Badetuch gewickelt aus der Aufgusssauna, stolperte wie immer erst einmal ermattet in Richtung einer Sitzmöglichkeit, bis die Kälte Kreislauf, Koordination und den Ich-Kern langsam zurückbrachte, und machte mich dann auf den Weg zurück zur Sauna, um den Bademantel anzuziehen. Weg. Der mausgraue Mantel – weg. Der Mann leider auch, den muss ich erst einmal aus einer Duschecke herausjammern, „Maaaarcoooo, mein Baaaademantel ist weeeeeeg!“, wie das nur Frauen können. Gemeinsam schreiten wir zur Tat und nehmen die Ermittlungen auf. Alle Haken der Außensaunen und -duschen werden inspiziert, der Innenbereich wird kompliziert, wir fangen lieber draußen an. Verdächtig sind alle Trägerinnen und Träger grauer Bademäntel. Es muss sich um eine überhitzungsbedingte Frotteefehlleistung handeln, jemand hat sich bestimmt einfach den falschen Überhang gegriffen. Leider meinen. Ich spreche, immernoch in mein Saunatuch gewickelt und mittlerweile ein bisschen frierend, Wildfremde an mit „Ich müsste Ihnen bitte kurz an die Wäsche, mein grauer Bademantel ist weg und Sie haben einen an.“ Manche Menschen haben großes Mitleid mit mir Unbemantelter und würden bestimmt wie der Heilige Martin ihren Mantel für mich teilen. Andere sehen mich an, als würden sie gleich Anzeige gegen mich erstatten und mich wegen Belästigung mit einem Hausverbot der Saunalandschaft belegen lassen. Ich schreibe im Saunadorf-Snackcafé einen Zettel mit meinem Namen, der Telefonnummer und Charakteristika meines Bademantels voll, in der Hoffnung, dass irgendwann irgendwer den Irrtum bemerkt.
Eine letzte Runde drehen wir noch. In einer Ruheecke sitzt lesend ein Paar. Er in einen grauen Mantel gewickelt. Ein letztes Mal fasse ich mir ein Herz. Der Angesprochene wehrt ab, nein, wieso, seinen Mantel habe er da an, ganz bestimmt, und ich will gerade schon wie bei allen anderen vor ihm den Etiketten-Check vornehmen, da ruft seine Frau laut aus: „Was hast du denn für einen Mantel an! Das ist ja gar nicht deiner!“ Sofort will der Mann der Mantel von sich reißen, der definitiv meiner ist, mit dem verwaschenen Kragen, aber ich bitte ihn, den Mantel doch einfach so lange anzulassen, bis er seinen vom Haken geholt hat. Ich erspare ihm die für Außenstehende bestimmt reizvolle theatralische Situation eines neben mir hertrottenden, niedergeschlagenen nackten Mannes, ich triumphierend in meiner zurückgewonnenen Robe mit hinter dem Rücken verschränkten Armen ausschreitend. Seine Frau kriegt einen Lachanfall und sich überhaupt nicht mehr ein, ich konzentriere mich darauf, nicht an das fremde, in meinen Bademantel hineinbaumelnde, sich am Frotteestoff reibende Geschlechtsteil zu denken und nehme mir vor, an den sehr heiß gewaschenen Mausmantel irgendwas dranzuklippen, was andere abschreckt. Irgendwas mit Glitzer, Katzen, Feminismus oder am besten alles zusammen.
Viel zu Fuß und immer mit offenen Augen unterwegs ist die Frau aus dem Melandertal. Wenn sie es schafft, den Dingen ein Augenzwinkern abzugewinnen, teilt sie ihre Eindrücke, Gedanken sowie Wander- und sonstigen Aktivitäten in diesem Blog.